Tamino warf noch einmal
einen Blick auf die Fassade seiner ehemaligen Schule während er
entschlossen sein Handy in die Tasche schob, in der er auch Emmas
Brief bei sich trug. Wachgerüttelt von den Zitaten, galt es nun aus
den ewigen Selbstvorwürfen und dem Selbstmitleid herauszutreten.
Nein, er würde
sich nicht bei Emma anmelden, sondern einfach drauf losfahren. Viel
zu lange hatte er damit gewartet ihren Brief zu beantworten.
Seit einiger Zeit wurden die Abstände immer größer, bis wieder
einmal ein paar Zeilen von ihr in seinem Briefkasten landeten. Hatte
sie ihn aufgegeben? Vergessen? Hatte er sein Glück, eine
solche Freundin an seiner Seite zu haben ausgereizt?
Auch ihre kleinen
Kurznachrichten auf dem Handy wurden immer weniger, doch ihr Inhalt
erinnerte ihn oft an das gemeinsam erlebte und das Vertrauen welches
zwischen ihnen bestand.
Er mochte ihre Zeilen, so
wie er auch sie mochte. Ihre kleinen Botschaften waren Lichtblick in
einer schweren Zeit. Sich einzugestehen, dass er Emma mehr als nur
wie eine Freundin mochte, gelang ihm lange nicht. Ihre Freundschaft
begann vor vielen Jahren. Damals jedoch wohnte er mit Rena zusammen
und glaubte an die unerschütterliche Liebe zwischen ihnen. Emma war
für ihn eine Freundin, mit der er über alles reden konnte. Nichts
war zwischen ihnen, nur gegenseitiges Verstehen und Vertrauen. Erst
als Rena ihn verließ und Tamino zu spielen begann, ging er Emma und
seiner Mummi vor Scham aus dem Weg. Er fühlte
sich weggeworfen, nichts mehr wert und wollte diesen
scheinbaren Mangel ausgleichen. So geriet er immer mehr auf die
schiefe Bahn, sackte tiefer und tiefer, weil er falschen
Freundschaften vertraute und diese ihn später verrieten, als er
nichts Materielles mehr bieten konnte.
Trotz seiner Rückzüge
hatte Emma bisher immer zu ihm
gehalten, ihn immer wieder kontaktiert und ihn an ihrem Leben
teilhaben lassen.
„Doch, was würde sein,
wenn ein fremder Name an ihrer Tür stand?“
Der letzte Brief war noch
mit Emmas alter Adresse versehen gewesen. „Vielleicht war sie
inzwischen umgezogen oder hatte gar jemanden kennengelernt und
geheiratet?!
Konnte er noch hoffen?
Oder kam die Erkenntnis zu
spät? War Emma inzwischen vergeben?“
Zielstrebig führte ihn
sein Weg zu seinem kleinen Zimmer, welches er in einer
Wohngemeinschaft bewohnte. Nach dem Verlust der Villa, die er sich
von einem Gewinn aus einem seiner großen spekulativen Geschäfte
kaufte, fühlte er sich hier in der Wohngemeinschaft richtig wohl.
Doch mit der Zeit wurde ihm die Fülle an verschiedenen Charakteren
einfach zu viel. Neben schriller Musik, lauten Gesprächen und
verschiedensten Gerüchen, drangen auch seine Mitbewohner Tag und
Nacht in sein kleines Zimmer. Abgeschiedenheit und Ruhe waren hier
nicht möglich. Zum Schreiben zog es ihn immer öfter hinaus in die
Stille. Dort konnte er ungestört seinem zweiten tiefen Wunsch
nachgehen, seinen Jugendroman neu schreiben.
Viel zu lange war
er auf Eis gelegt worden wegen der Pokerabende und den
Ausflügen in diese scheinheilige Welt der vermeintlich Reichen und
Schönen.
Während er eine kleine
Tasche mit den nötigsten Sachen für ein paar Tage Auszeit packte,
begleiteten ihn viele Gedanken.
„Ob Emma mir wieder
hilft?“
So gern verfolgte sie
damals seine geschriebenen Kapitel und konnte nie genug bekommen.
Ihren aufmunternden Worten jedoch hatte er nie eine größere
Bedeutung beigemessen. Sie war kritisch, dabei jedoch immer fair und
niemals redete sie ihm die Handlung seiner Protagonisten aus. Rena
dagegen glaubte nicht an ihn, nicht an dass was er schrieb. Kapitel
für Kapitel schrieb sie um, nach ihren Vorstellungen. Doch als Emma
ihm schrieb, „Wo ist der Tamino-Stil geblieben den ich so mag?“;
war er erbost. Die Umschreibung brachte ihm schon bald eine Rüge
seines Verlages ein und da er keine Einsicht zeigte, distanzierten
sie sich von seiner Idee.
Nicht der Verlust von
Villa und Geld waren das Schlimmste. Schlimmer würde es ihn treffen,
wenn er nun durch seinen hartnäckigen Sturkopf Emma verlor.
„War es vermessen, jetzt
auf sie zuzugehen, wo er nichts mehr besaß? „
Sofort wurde ihm die
Unsinnigkeit dieser Frage bewusst. Emma war niemand, die es auf Geld
und Gut absah. Sie blickte in die Tiefe eines Menschen.
„Genug der Rückblicke
und des Badens in zerstörerischem Selbstmitleid.“ Es galt, aus dem
Pech, welches er selbst verschuldet hatte, das Beste zu machen.
Bei allen scheinbaren
Verlusten war ihm etwas geblieben. Seine beiden Pferde. Für die
beiden war er nach den Pleiten gern Doppelschichten arbeiten
gegangen. Diesen Traum wollte er sich nicht durch seine Spielsucht
nehmen lassen.
Zeit war verflossen.
Wertvolle Zeit, vertan, weil er seinen falschen Stolz nicht ablegen
konnte. Mal brandend wie ein Fluss, der über seine Ufer drang und
alles mit sich riss, was ihm auf dem Weg begegnete. Auch Tamino hatte
es durch die Zeit gerissen, durch Zeit, die er immer vorgab nicht zu
haben. In wilden Nächten am Spieltisch war sie zerronnen wie
schmelzender Schnee. Dann wieder war sie zähflüssig wie Blei und
Tamino kam es vor als würde sie still stehen, ihn gefangen halten.
Ausweglos.
Ihm fiel ein Zitat von
Albert Einstein ein. „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich
die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“
Den Grundstein dafür
würde er heute legen.
Während all der Gedanken
war seine Tasche fertig gepackt. Abmelden musste er sich hier in der
Wg bei niemandem. Sein Fehlen würde nur auffallen, wenn jemand
wieder einmal einen Zuhörer oder Zigaretten brauchte. Mit Zigaretten
konnte er dienen, die legte er gut sichtbar auf den Schreibtisch.
Doch mit Ohren zum zuhören sah es für die nächsten Tage schlecht
aus. Es galt, sich um eigene Belange zu kümmern und einen neuen Weg
einzuschlagen. Zu spät war es dafür nie.
„Ein Haus war noch lange
kein Zuhause“, dies war deutlich spürbar gewesen, als er allein in
der großen Villa, umgeben von toten unpersönlichen Dingen und
raffgierigen Begleitern, sein Leben fristete. Nicht einmal mehr seine
Romanfiguren waren in seinen Gedanken bei ihm zu Gast. Ihm war nur
Renas Version geblieben, denn einzig ihre Umschreibungen fanden sich
noch auf seinem PC.
Tamino warf die Tür ohne
einen Blick zurückzuwerfen hinter sich zu. „Ruhe“, tönte es
lautstark aus einem der Zimmer. Doch das hörte Tamino schon nicht
mehr, der eilend die Stufen hinablief. Sein Weg würde ihn jetzt in
den nahe gelegenen Reitstall führen, dort konnte er sich einen
Anhänger mieten und die Pferde für sein Vorhaben darin verfrachten.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er zur Aufstehzeit auf dem
Gestüt eintraf und somit niemanden unnötig wecken müsste. Mit dem
„in den Sonnenaufgang reiten“ würde es heute nicht mehr so ganz
klappen, doch die Hoffnung gab er nicht auf, dies eines Tages mit
Emma nachholen zu können.
Zügig erreichte er sein
Ziel und als er beim Verladen der Tiere, dem Pferdepfleger von seinem
Plan erzählte, nickte jener zustimmend und gab Tamino zu verstehen
er möge einen kleinen Moment auf ihn warten.
Tamino nahm Platz auf
einem, der vor dem Stall gelagerten, Strohballen. Das Knistern in
seiner Hosentasche musste ihn nicht an den Brief erinnern. Seinen
Inhalt kannte er schon auswendig und doch nahm er ihn wie so oft
zuvor, nochmals in die Hände und las die Zeilen, die ihm ein treuer
Begleiter waren.
Neidlos freute er sich für
Emma, die in der vergangenen Zeit ihren Platz gefunden hatte, von dem
sie immer träumte. Ihr innigster Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Lautes Stimmengewirr ließ
Tamino aufblicken. Der Pferdepfleger kehrte mit seiner Frau zurück.
Zu den beiden hatte es ihn in den letzten Monaten immer wieder
hingezogen. Nicht nur wegen seiner Pferde. Aus dieser Begegnung
schien eine Freundschaft zu wachsen. Vertrauensvoll gingen sie
miteinander um und niemals spürte er Ablehnung, wenn er von seinen
miesen Geschäften erzählte.
Beide machten ihm Mut und
hier konnte er in aller Stille an seinem Manuskript arbeiten. Sie
wussten auch von Emma und von dem Rückzug gegenüber seiner Mummi.
Doch niemals hatten sie Druck auf ihn ausgeübt. Zuhören war ihre
große Stärke und auch gemeinsam schweigen. Sie ließen ihn Lösungen
auf seinem neuen Weg immer alleine finden. Eine, nach dem Erleben mit
Rena ungewohnte Situation.
Er fühlte sich frei in
seinen Entscheidungen. Freudig wurde er in den Arm genommen, nachdem
das Weidenkörbchen, welches die beiden zwischen sich trugen auf dem
Strohballen abgestellt war.
Im Osten wurde der Himmel
langsam immer heller, während die drei ein Schwätzchen hielten, die
Dunkelheit zog sich zurück und der Himmel begann in zartem Rosa zu
erstrahlen. Die Nacht hatte die Temperaturen nur wenig herunter
gekühlt. Gerade soviel, dass nun der Tag frisch erwachen konnte.
Die Pferde waren verladen,
mit den beiden Gestütsbesitzern wechselte Tamino noch ein paar
abschließende Worte und er verabschiedete sich von ihnen auf
unbestimmte Zeit. Alles war nun offen, ohne Plan. Tamino wollte sich
Zeit nehmen, sich Zeit lassen und die Momente genießen.
Als er die Tür seines
Wagens öffnete, hörte er den Pferdepfleger rufen, „warte, wir
haben hier noch etwas für dich“ und trug ihm das Weidenkörbchen
entgegen.
Tamino schaute überrascht.
„Was...?“ „Frag nicht“, wurde er unterbrochen. „Wir haben
dir ein paar Sachen für ein Picknick eingepackt. Obst, Saft eine
Kanne Tee und Kuchen. Ihr werdet euch viel zu erzählen haben. Da
tut eine Stärkung zwischendurch gut. Lasst es euch einfach schmecken
und genießt das Beisammensein.“
Mit diesen Worten und
einem aufmunternden Lächeln verabschiedete sich sein neuer, sehr
ehrlicher Freund und er räumte damit auch die letzten Bedenken aus
Taminos Gedanken.
Vor ihm lag nun noch eine
gute halbe Stunde Autofahrt bis er sein Ziel erreichen würde. Zeit,
sich noch einmal zu sammeln. Ein wenig aufgeregt war er schon, was
passieren könnte, wenn er bei Emma klingelt.
Doch all das musste er nun
einfach auf sich zukommen lassen. Planbar war hier nichts.
Der Morgen zeigte sich von
seiner schönsten Seite, stellte sich wie ein Verbündeter neben ihn.
Zuversicht machte sich in Tamino breit. Sein Herz wurde ganz weit und
füllte sich mit einer lange nicht mehr gefühlten Wärme je näher
er seinem Ziel kam.
„Würde dort am Ende der
Straße, nach all dem Pech, nun ein kleines Glück warten?“
Tamino parkte sein Auto,
stellte den Motor ab und stieg ganz langsam aus. Im Haus wurden
gerade die Rollladen hochgezogen als er den Klingelknopf betätigte.
Einen kleinen Moment Geduld, der ihm das Herz höher schlagen ließ,
musste er aufbringen, bis sich die Tür weit öffnete und Emma ihm
mit einem strahlenden Lächeln entgegentrat. Schweigend nahmen sie
sich in die Arme. Minutenlang.
Schweigend lösten sie
sich aus dieser Umarmung und ohne Worte zeigte Tamino einladend mit
einem Blick zur Sonne, auf den Anhänger.
Stumm drehte sich Emma um,
ging ins Haus und Tamino wollte sich gerade enttäuscht abwenden weil
er glaubte, gleich würde die Tür vor seiner Nase zugeschlagen
werden, als sich Emma ihm wieder zuwandt. Lachend drückte sie ihm
ihren Haustürschlüssel in die Hand, drückte ihm einen Kuss auf
seine, sich vor Erstaunen öffnen wollenden Lippen und lief mit einer
Handvoll Möhren auf den Anhänger zu …..
die Geschichte von einem der auszog um nichts und doch alles dazuzulernen. Tamino der Kindskopf, steht nach erfolgreichem Schiffsbruch fast allein, aber besitzt die große unendliche Freundschaft von Emma. Tamino ist mir nah – so als würde er leben :-) Wie das jetzt wohl weitergeht? Gibt es noch einen Teil liebe Ella ….
AntwortenLöschenUnd die Freundschaft der Liebe opfern? Opfern, was ein Wort? Aber ich habe es nicht so mit der Liebe, aber bin hier offen *zwinker*.
Lg zu dir und das Jahr ruft in den letzten Zügen – hörst du es