Freitag, 6. Mai 2016

Fremde Welten?!

Aufgabe
gestellt von Lessa
ich habe heute was zum Anhören. Es ist der Beginn eines Liedes, gesprochen als "Eingangstext". Bitte hört es euch an, es dauert 1:26 Minuten. Mehr hört besser noch nicht, denn das Thema ist:

Wie geht es mit Luisa weiter?

https://www.youtube.com/watch?v=3pvImdAgD0w


Luisa – Juliane Werding


„Die Tür ist nur angelehnt
und sie geht hinein.
Ein langer Gang.
Ein Licht,
das sich bewegt.
Sie folgt dem Licht ….
und vergisst die Zeit.“



Weiter und weiter folgt Luisa dem Licht. Obwohl es sich bewegt, flackert es nicht. Konstant, wenn auch spärlich, leuchtet es den muffig riechenden Gang aus.
Sie rümpft die Nase. Beklommenheit macht sich breit und einen Moment lang tobt in ihr das Verlangen umzukehren. Doch die Neugier siegt, auch wenn ihr der anhaltende Geruch den Atem raubt.
Ihr wird schwindelig, taumelnd kommt sie der Wand nahe. Luisa bleibt stehen, greift nach einem nicht sichtbaren Halt, doch da ist nichts, keine Wand. Vor ihren Händen öffnet sich die Mauer zu einem Loch. Der Geruch verändert sich, die Umgebungsluft streift warm ihre Haut. Aromatischer Kiefernharzduft füllt die Nische aus. Weckt etwas in ihr. Nicht greifbar. Zu weit in ihren Erinnerungsschubladen vergraben. Und das Licht bleibt nicht stehen, lässt ihr keine Zeit zum verweilen, bewegt sich immer tiefer in den Gang hinein. Der Duft bleibt in Luisas Nase haften, doch die Wärme nimmt mit jedem Schritt, den sie auf das Licht zugeht, ab.

Hier und da erfühlt sie weitere Nischen. Mal ganz tief, dann wieder nur wenige Zentimeter der Wand einnehmend. Doch bei jeder Vertiefung verändern sich die Gerüche, verändert sich die Temperatur die Luisa umgibt. Das sich schneller bewegende Licht zieht sie mit sich, obwohl sie hier und da gern verweilen, den Veränderungen ihrer Empfindungen auf den Grund gehen würde. Doch so groß ihre Neugier auch ist, die Angst vor der absoluten Dunkelheit, vor dem Ungewissen, ist noch viel größer.
Jede Nische die sie passiert, bringt neue Eindrücke. Gerüche wechseln, Empfindungen kommen und gehen. Eben noch roch Luisa Wasser und ein großer bunter Ball flog davon, als schon der Geruch von Kaminfeuer nicht nur ihre Nasenflügel zum beben bringt.
Ihre Sinne schwinden, kehren ebenso schnell zurück. Es riecht nach Creme, nach Waffenöl, Zigarettenrauch, brennendem Wald. Dann wieder nach Sommer und Wärme. Um schon im nächsten Augenblick einer „Kaltfront“ entgegenzugehen.

Hinter ihr ertönen Schreie. Ihre Freundinnen rufen nach ihr. Suchen sie. Doch Luisa beginnt gerade ihre eigene Suche.
Der Lichtschein hält nicht inne, ist zwar langsamer geworden, aber sobald das Mädchen stehen bleibt, wandert das Licht schneller durch den alten Gang aus kühlen Felssteinen. Angetrieben von der Angst, hetzt sie hinterher. Je tiefer sie in die Dunkelheit gelangen, um so massiver werden die Gerüche und noch mehr Bilder tauche auf.
Nun zeigen sie nicht mehr nur Gegenstände.
Menschen treten ins Bild. Manchmal nur einer, dann wieder Gruppen. Alt und jung. Mann und Frau, Greise und Kinder. Sie reden in unterschiedlichsten Sprachen und tragen Kleidungen aus verschiedenen Zeitabschnitten. Sie singen und lachen und weinen.
Manche kommen Luisa so vertraut vor und doch ist sie sich nicht bewusst sie zu kennen.

Luisa zieht ihre Jacke über ihre schmalen Schultern fester zusammen. Ihr fröstelt. Angst kriecht ihr den Rücken hinauf. Lässt sie inne halten und erstarren.

Sie muss sich entscheiden – zwischen Neugier und der Beklemmung. Die Gerüche lösen in ihr Beklommenheit aus. Stehen bleiben, oder weiter gehen. Es ist wie ein Wahn, doch das Licht zieht sie weiter. Lässt ihr nun etwas mehr Zeit. In manchen Nischen sieht sie sich selbst. Als Kind, als Erwachsene, dann wieder ganz klein. Zeiten ändern sich. Die Hintergründe der Nischen ebenso. Abwenden von diesen Bildern kann sie sich nicht mehr. Sie rauschen auf sie ein, unaufhaltsam. Wie riesige Wellen die dem Ufer zu wogen.
Luisa fühlt sich allein, Tränen rinnen unaufhaltsam über ihr Gesicht. Eiskalter Wind braust durch den Gang. Kein flackern, kein ersterben des Lichts! Weiter weist es den Weg. „Nach vorn! Nach vorn! Nicht zurück!“
Doch ist nicht dort bei der Tür DAS VORN? Der Eingang?!
„Schreite ich hier nicht unweigerlich meinem Untergang entgegen?“
Wieder bleibt das Mädchen stehen, verharrend. Versteift. Und um sie herum tanzen Eindrücke.
Stampfend, leicht, fordernd, dann fast fliegend. Einige Bilder flattern an ihr vorüber, leicht und zart wie Schmetterlinge, andere stampfen wie eine im Gleichschritt marschierende Armee. Lassen es in ihrem Kopf dröhnen um im nächsten Moment lieblichsten Vogelgesang erklingen zu lassen.
Die Gerüche wechseln nach wie vor. Eine ganze Palette an Düften treibt ein wahnsinniges Spiel mit Luisa. Eben noch umwehte ihre Nase ein Duft von frischem gemähtem Gras um im nächsten Moment dumpf und alt in ihre Nase zu kriechen.

Die Zeit verrann und blieb zugleich auch stehen.
Hier gab es keine Zeit. Nur diffuse Dunkelheit, von der sie glaubte ihr niemals wieder entrinnen zu können. Auch ein Zurück kam nicht in Frage. Da gab es nur Schwarz.
Vor ihr tänzelte das Licht, wies ihr den Weg.
War da!
Mal fühlte sich Luisa völlig erschöpft, dann wieder stark und kraftvoll.
Sie starb auf diesem Weg gefühlte tausend Tode und wurde ebenso oft neu geboren. Luisa glaubte durch Jahrhunderte zu gleiten und fragte sich wieder und wieder ob sie in einen Zeittunnel geraten war.
Vernichtung, Wiederaufbau, Neu entstandenes, Abschied und Wiederkehr.
Verlust und Gewinn, nicht von materiellen Dingen. Freundschaften, Verwandte.
Es war ein Rausch – unaufhaltsam.
Sie stand in blühenden Gärten und auf verbrannter Erde. Sie lief durch den Sturm und lag lesend in einem Kornfeld. Sie hörte Schreie und leise Lieder.
Krankheit, Genesung, wechselnde Jahreszeiten begleiteten sie durch den Tunnel. Zu Beginn noch eng und muffig riechend, öffnete er sich immer mehr.
Die Unwohlsein fördernden Gerüche wechselten sich immer mehr ab mit Wohlgeruch. Dunkle Bilder wurden von freundlichen abgelöst.
Es schien kein Ende zu geben.
Ermattet blieb sie vor einer Nische stehen, in der sie kristallklares Wasser in einem Bergsee sehen konnte.
Umgeben von hohen Tannen und schneebedeckten Bergen schien der See friedlich in der Sonne zu dösen.
Aus diesem Bild strömte so viel Energie, die sie mit tiefen Atemzügen in sich auf sog.
Klare frische Luft schlug ihr entgegen. Eben noch glaubte sie, das Licht habe ein Einsehen mit ihr, als es mit rasanter Geschwindigkeit davon stob.
Es wurde Dunkel.
Nur der Schnee hoch oben auf den Bergspitzen glitzerte ein wenig.
Luisa lies sich diesmal nicht beirren.
Sie „trotzte“ ihrer Angst. Trat ihr gegenüber und genoss den Energieschub, den ihr die kleine Vertiefung in der Wand bescherte.
Wie von Ferne hörte sie leises Vogelgezwitscher, der Tunnel wurde wieder erhellt, die Helligkeit kehrte zurück. War da, wann immer Luisa vertraute. Das Bild wurde wieder vollständig sichtbar und ein spürbarer Windhauch zauberte kleine klare Wellen auf den bis eben noch spiegelglatten See.

Die Angst machte dem innerem Frieden Platz. Sie spürte, hier hatte sie ihre Übermächtigkeit verloren. Und Luisa überkam ein Gefühl von Freude und Glück.
Dieses Bildnis war völlig zeitlos. Nichts darin verriet irgendeine Epoche. Es war JETZT.
Einfach „nur“ jetzt.

DER Augenblick des Seins.  

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