Mittwoch, 30. Dezember 2015

Hybris

Gepflegte Eitelkeiten
zerrinnen nicht
im Sand der Gezeiten
Festgehalten
bleiben sie
hart und verkrustet
Herzinnen
Nichts dringt hinaus
und auch nicht hinein
verhärtet
bilden sie
Stahlharte Mauern
Wärmen wollende
Sonnenstrahlen
erkalten daran
Gefrieren

mitten im Leben
  

Lebe


Lebe


Draußen im Gartenhäuschen
stapeln sich Deine Wahrheiten.
Dünnstimmig fallen
sie aus ihrem goldenen Rahmen.
Verharren zeitlos
auf den splitternden Dielen
vergehender Tage.
Gefühle,
hast Du auf Eis gelegt.
Rubinrot eingeschlossen
in winterweißem Kristall.
Der Pulsschlag des Lebens
schwankt zwischen
leisen und lauten Tönen.
Doch Du stellst Dich taub.
Alles bleibt wie es ist.
Gepflogenheiten hebst Du auf
den Thron des Alltags
und vergisst dabei zu leben.
Nimm die Erfahrungen der
Herbstzeit wahr
und lass Dich ein
auf wärmende
Sommerträume
fernab von
eisgekühlten 
Gewohnheiten. 

E.L. 

Montag, 28. Dezember 2015

Eine Handvoll Möhren

Tamino warf noch einmal einen Blick auf die Fassade seiner ehemaligen Schule während er entschlossen sein Handy in die Tasche schob, in der er auch Emmas Brief bei sich trug. Wachgerüttelt von den Zitaten, galt es nun aus den ewigen Selbstvorwürfen und dem Selbstmitleid herauszutreten.
Nein, er würde sich nicht bei Emma anmelden, sondern einfach drauf losfahren. Viel zu lange hatte er damit gewartet ihren Brief zu beantworten. Seit einiger Zeit wurden die Abstände immer größer, bis wieder einmal ein paar Zeilen von ihr in seinem Briefkasten landeten. Hatte sie ihn aufgegeben? Vergessen? Hatte er sein Glück, eine solche Freundin an seiner Seite zu haben ausgereizt?
Auch ihre kleinen Kurznachrichten auf dem Handy wurden immer weniger, doch ihr Inhalt erinnerte ihn oft an das gemeinsam erlebte und das Vertrauen welches zwischen ihnen bestand.
Er mochte ihre Zeilen, so wie er auch sie mochte. Ihre kleinen Botschaften waren Lichtblick in einer schweren Zeit. Sich einzugestehen, dass er Emma mehr als nur wie eine Freundin mochte, gelang ihm lange nicht. Ihre Freundschaft begann vor vielen Jahren. Damals jedoch wohnte er mit Rena zusammen und glaubte an die unerschütterliche Liebe zwischen ihnen. Emma war für ihn eine Freundin, mit der er über alles reden konnte. Nichts war zwischen ihnen, nur gegenseitiges Verstehen und Vertrauen. Erst als Rena ihn verließ und Tamino zu spielen begann, ging er Emma und seiner Mummi vor Scham aus dem Weg. Er fühlte sich weggeworfen, nichts mehr wert und wollte diesen scheinbaren Mangel ausgleichen. So geriet er immer mehr auf die schiefe Bahn, sackte tiefer und tiefer, weil er falschen Freundschaften vertraute und diese ihn später verrieten, als er nichts Materielles mehr bieten konnte.
Trotz seiner Rückzüge hatte Emma bisher immer zu ihm gehalten, ihn immer wieder kontaktiert und ihn an ihrem Leben teilhaben lassen.
Doch, was würde sein, wenn ein fremder Name an ihrer Tür stand?“
Der letzte Brief war noch mit Emmas alter Adresse versehen gewesen. „Vielleicht war sie inzwischen umgezogen oder hatte gar jemanden kennengelernt und geheiratet?!
Konnte er noch hoffen?
Oder kam die Erkenntnis zu spät? War Emma inzwischen vergeben?“

Zielstrebig führte ihn sein Weg zu seinem kleinen Zimmer, welches er in einer Wohngemeinschaft bewohnte. Nach dem Verlust der Villa, die er sich von einem Gewinn aus einem seiner großen spekulativen Geschäfte kaufte, fühlte er sich hier in der Wohngemeinschaft richtig wohl. Doch mit der Zeit wurde ihm die Fülle an verschiedenen Charakteren einfach zu viel. Neben schriller Musik, lauten Gesprächen und verschiedensten Gerüchen, drangen auch seine Mitbewohner Tag und Nacht in sein kleines Zimmer. Abgeschiedenheit und Ruhe waren hier nicht möglich. Zum Schreiben zog es ihn immer öfter hinaus in die Stille. Dort konnte er ungestört seinem zweiten tiefen Wunsch nachgehen, seinen Jugendroman neu schreiben.
Viel zu lange war er auf Eis gelegt worden wegen der Pokerabende und den Ausflügen in diese scheinheilige Welt der vermeintlich Reichen und Schönen.

Während er eine kleine Tasche mit den nötigsten Sachen für ein paar Tage Auszeit packte, begleiteten ihn viele Gedanken.

Ob Emma mir wieder hilft?“
So gern verfolgte sie damals seine geschriebenen Kapitel und konnte nie genug bekommen. Ihren aufmunternden Worten jedoch hatte er nie eine größere Bedeutung beigemessen. Sie war kritisch, dabei jedoch immer fair und niemals redete sie ihm die Handlung seiner Protagonisten aus. Rena dagegen glaubte nicht an ihn, nicht an dass was er schrieb. Kapitel für Kapitel schrieb sie um, nach ihren Vorstellungen. Doch als Emma ihm schrieb, „Wo ist der Tamino-Stil geblieben den ich so mag?“; war er erbost. Die Umschreibung brachte ihm schon bald eine Rüge seines Verlages ein und da er keine Einsicht zeigte, distanzierten sie sich von seiner Idee.
Nicht der Verlust von Villa und Geld waren das Schlimmste. Schlimmer würde es ihn treffen, wenn er nun durch seinen hartnäckigen Sturkopf Emma verlor.
War es vermessen, jetzt auf sie zuzugehen, wo er nichts mehr besaß? „

Sofort wurde ihm die Unsinnigkeit dieser Frage bewusst. Emma war niemand, die es auf Geld und Gut absah. Sie blickte in die Tiefe eines Menschen.
Genug der Rückblicke und des Badens in zerstörerischem Selbstmitleid.“ Es galt, aus dem Pech, welches er selbst verschuldet hatte, das Beste zu machen.
Bei allen scheinbaren Verlusten war ihm etwas geblieben. Seine beiden Pferde. Für die beiden war er nach den Pleiten gern Doppelschichten arbeiten gegangen. Diesen Traum wollte er sich nicht durch seine Spielsucht nehmen lassen.

Zeit war verflossen. Wertvolle Zeit, vertan, weil er seinen falschen Stolz nicht ablegen konnte. Mal brandend wie ein Fluss, der über seine Ufer drang und alles mit sich riss, was ihm auf dem Weg begegnete. Auch Tamino hatte es durch die Zeit gerissen, durch Zeit, die er immer vorgab nicht zu haben. In wilden Nächten am Spieltisch war sie zerronnen wie schmelzender Schnee. Dann wieder war sie zähflüssig wie Blei und Tamino kam es vor als würde sie still stehen, ihn gefangen halten. Ausweglos.


Ihm fiel ein Zitat von Albert Einstein ein. „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“
Den Grundstein dafür würde er heute legen.
Während all der Gedanken war seine Tasche fertig gepackt. Abmelden musste er sich hier in der Wg bei niemandem. Sein Fehlen würde nur auffallen, wenn jemand wieder einmal einen Zuhörer oder Zigaretten brauchte. Mit Zigaretten konnte er dienen, die legte er gut sichtbar auf den Schreibtisch. Doch mit Ohren zum zuhören sah es für die nächsten Tage schlecht aus. Es galt, sich um eigene Belange zu kümmern und einen neuen Weg einzuschlagen. Zu spät war es dafür nie.
Ein Haus war noch lange kein Zuhause“, dies war deutlich spürbar gewesen, als er allein in der großen Villa, umgeben von toten unpersönlichen Dingen und raffgierigen Begleitern, sein Leben fristete. Nicht einmal mehr seine Romanfiguren waren in seinen Gedanken bei ihm zu Gast. Ihm war nur Renas Version geblieben, denn einzig ihre Umschreibungen fanden sich noch auf seinem PC.

Tamino warf die Tür ohne einen Blick zurückzuwerfen hinter sich zu. „Ruhe“, tönte es lautstark aus einem der Zimmer. Doch das hörte Tamino schon nicht mehr, der eilend die Stufen hinablief. Sein Weg würde ihn jetzt in den nahe gelegenen Reitstall führen, dort konnte er sich einen Anhänger mieten und die Pferde für sein Vorhaben darin verfrachten. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er zur Aufstehzeit auf dem Gestüt eintraf und somit niemanden unnötig wecken müsste. Mit dem „in den Sonnenaufgang reiten“ würde es heute nicht mehr so ganz klappen, doch die Hoffnung gab er nicht auf, dies eines Tages mit Emma nachholen zu können.

Zügig erreichte er sein Ziel und als er beim Verladen der Tiere, dem Pferdepfleger von seinem Plan erzählte, nickte jener zustimmend und gab Tamino zu verstehen er möge einen kleinen Moment auf ihn warten.

Tamino nahm Platz auf einem, der vor dem Stall gelagerten, Strohballen. Das Knistern in seiner Hosentasche musste ihn nicht an den Brief erinnern. Seinen Inhalt kannte er schon auswendig und doch nahm er ihn wie so oft zuvor, nochmals in die Hände und las die Zeilen, die ihm ein treuer Begleiter waren.
Neidlos freute er sich für Emma, die in der vergangenen Zeit ihren Platz gefunden hatte, von dem sie immer träumte. Ihr innigster Wunsch war in Erfüllung gegangen.

Lautes Stimmengewirr ließ Tamino aufblicken. Der Pferdepfleger kehrte mit seiner Frau zurück. Zu den beiden hatte es ihn in den letzten Monaten immer wieder hingezogen. Nicht nur wegen seiner Pferde. Aus dieser Begegnung schien eine Freundschaft zu wachsen. Vertrauensvoll gingen sie miteinander um und niemals spürte er Ablehnung, wenn er von seinen miesen Geschäften erzählte.
Beide machten ihm Mut und hier konnte er in aller Stille an seinem Manuskript arbeiten. Sie wussten auch von Emma und von dem Rückzug gegenüber seiner Mummi. Doch niemals hatten sie Druck auf ihn ausgeübt. Zuhören war ihre große Stärke und auch gemeinsam schweigen. Sie ließen ihn Lösungen auf seinem neuen Weg immer alleine finden. Eine, nach dem Erleben mit Rena ungewohnte Situation.
Er fühlte sich frei in seinen Entscheidungen. Freudig wurde er in den Arm genommen, nachdem das Weidenkörbchen, welches die beiden zwischen sich trugen auf dem Strohballen abgestellt war.

Im Osten wurde der Himmel langsam immer heller, während die drei ein Schwätzchen hielten, die Dunkelheit zog sich zurück und der Himmel begann in zartem Rosa zu erstrahlen. Die Nacht hatte die Temperaturen nur wenig herunter gekühlt. Gerade soviel, dass nun der Tag frisch erwachen konnte.
Die Pferde waren verladen, mit den beiden Gestütsbesitzern wechselte Tamino noch ein paar abschließende Worte und er verabschiedete sich von ihnen auf unbestimmte Zeit. Alles war nun offen, ohne Plan. Tamino wollte sich Zeit nehmen, sich Zeit lassen und die Momente genießen.

Als er die Tür seines Wagens öffnete, hörte er den Pferdepfleger rufen, „warte, wir haben hier noch etwas für dich“ und trug ihm das Weidenkörbchen entgegen.
Tamino schaute überrascht. „Was...?“ „Frag nicht“, wurde er unterbrochen. „Wir haben dir ein paar Sachen für ein Picknick eingepackt. Obst, Saft eine Kanne Tee und Kuchen. Ihr werdet euch viel zu erzählen haben. Da tut eine Stärkung zwischendurch gut. Lasst es euch einfach schmecken und genießt das Beisammensein.“
Mit diesen Worten und einem aufmunternden Lächeln verabschiedete sich sein neuer, sehr ehrlicher Freund und er räumte damit auch die letzten Bedenken aus Taminos Gedanken.

Vor ihm lag nun noch eine gute halbe Stunde Autofahrt bis er sein Ziel erreichen würde. Zeit, sich noch einmal zu sammeln. Ein wenig aufgeregt war er schon, was passieren könnte, wenn er bei Emma klingelt.
Doch all das musste er nun einfach auf sich zukommen lassen. Planbar war hier nichts.

Der Morgen zeigte sich von seiner schönsten Seite, stellte sich wie ein Verbündeter neben ihn. Zuversicht machte sich in Tamino breit. Sein Herz wurde ganz weit und füllte sich mit einer lange nicht mehr gefühlten Wärme je näher er seinem Ziel kam.
Würde dort am Ende der Straße, nach all dem Pech, nun ein kleines Glück warten?“

Tamino parkte sein Auto, stellte den Motor ab und stieg ganz langsam aus. Im Haus wurden gerade die Rollladen hochgezogen als er den Klingelknopf betätigte. Einen kleinen Moment Geduld, der ihm das Herz höher schlagen ließ, musste er aufbringen, bis sich die Tür weit öffnete und Emma ihm mit einem strahlenden Lächeln entgegentrat. Schweigend nahmen sie sich in die Arme. Minutenlang.

Schweigend lösten sie sich aus dieser Umarmung und ohne Worte zeigte Tamino einladend mit einem Blick zur Sonne, auf den Anhänger.
Stumm drehte sich Emma um, ging ins Haus und Tamino wollte sich gerade enttäuscht abwenden weil er glaubte, gleich würde die Tür vor seiner Nase zugeschlagen werden, als sich Emma ihm wieder zuwandt. Lachend drückte sie ihm ihren Haustürschlüssel in die Hand, drückte ihm einen Kuss auf seine, sich vor Erstaunen öffnen wollenden Lippen und lief mit einer Handvoll Möhren auf den Anhänger zu …..


Sonntag, 27. Dezember 2015

Sehnsüchte zwischen Ahnenpflichten

Wie viele Sehnsüchte haben wir von unseren Ahnen übernommen? Welche davon sollen wir erfüllen und welche davon wollen wir erfüllt sehen? Weil es eben immer so war.

Da lebt es sich in einer Beziehung. Beziehungen, Ehen sind beständig, aufgeben gilt nicht. Die Eltern lebten der „Goldenen“ entgegen, diese Sehnsucht wurde auf die Kinder übertragen und soll nun möglichst von ihnen erfüllt werden.

Ausharren?
Um Sehnsüchte zu vervollkommnen? Die Anderer zu erfüllen?

Die kleine Frau, sie harrte aus, während sie unglücklich ihren Sehnsüchten nachtrauerte um die auferlegten zu erfüllen.

Die dafür lebte, Wünsche ihrer Ahnen zu befriedigen, während ihre beiden Mädels schon geschieden waren.
Ausgebrochen, aus dem was sie aushielt. Pflicht erfüllt. Einem Schwur folgend.

Wie fühlen die Beiden sich dabei?
So ausgebrochen aus dem „ererbten“?
Schuldig?

Da ist die Kleine, die der Großen während eines nächtlichen Gesprächs plötzlich entgegenschleudert; „was wisst ihr schon von meinen Sehnsüchten nach einem eigenen Kind?“, obwohl sie jahrelang jeden hat glauben lassen, sie sei mit ihrem Leben, ihrem Mann, ihrer kinderlosen Ehe glücklich.
Und die „Große“? Trägt sie die Scham der anderen in sich, als ihre Ehe scheiterte und sie als Geschiedene zu einer Familienfeier kommt?


Da ist der junge Mann, der gleichgeschlechtlich liebt, während seine Eltern seine Zukunft in, „Ein Haus, ein Baum, ein Kind“ sehen.
Oder Jener, der fern der Heimat eine Frau liebt, doch seine Pflichterfüllung darin sieht, den Eltern bis zu ihrem Tod treu zur Seite zu stehen, weil das schon immer so war und erst dann seine eigenen Sehnsüchte zu leben. Der immer wieder zu hören bekommt, sie ist nicht die Richtige, obwohl sich sein Herz nach ihr verzehrt. Der nach Jahren erkennt, das es für die Erfüllung seiner Sehnsüchte nun zu spät ist. 

Da ist die junge Mutter, die ihrem Kind beim Stillen die Geschichte von der Sehnsucht nach einer treu ergebenen Tochter erzählt, die später einmal Mama und Papa pflegen soll. 
Oder die Frau in der Mitte ihres Lebens, Herbstfarben tragend, die den Frühling und einen jungen Mann liebt. Immer mit der Frage, darf das sein? 

Wie viele Wünsche, Sehnsüchte, Pflichten habe ich, haben wir unseren Kindern, bewusst, unbewusst auferlegt? Und auch auferlegt bekommen? 

Sehnsuchtsblocker?!

Werfen wir sie ab, die Sehnsüchte unserer Ahnen und leben unsere eigenen. Heute, jetzt und hier, in diesem, UNSEREM Leben.

Sonntag, 20. Dezember 2015

Gedankensplitter

Entscheidungen
Für mich
Von Dir
getroffen
Widerspruch sinnlos
Du hast das Urteil gefällt
Ich habe Deine Erwartungen nicht erfüllt

***

Gepflegte Eitelkeiten
im Zeitengefüge
Realitäten verschoben
Unausgesprochenes
findet kein Gehör

***

Erwartungslos
Warst Du es?
Deine Reaktion
wäre anders ausgefallen

***

Im Morgengrauen
entdecken
sich Wahrheiten nicht

***


Davongeschlichen
Ausgestrichen
Unbemerkt
Für nicht gesagtes
gibt es keinen Leitfaden

***

Zeiten
kollabiert
dort traf sie
der Blitz
hier schien
die Sonne
und mittendrin
Leben

***

Getroffen
Zwischen Zeilen
mal hier
mal da
nie zur gleichen Zeit
Unmöglich
Denn das Leben spielt die erste Geige

***

Basis
Du hast sie
hoch geschraubt
mir fehlte sie

***

Tastaturen
führen keine
Statistik
über
unbenutzte Worte


***


Deine Gedanken
ich traf sie
zu einer Zeit
als sie mich trafen


Freitag, 18. Dezember 2015

Eine Hand voll Glück

Es gibt nichts ergreifenderes im Leben, als einem kleinen Menschen das erste Mal die Hand zu reichen und zu spüren, dass wir seine Wurzeln im Baum des Lebens sind, die ihm Halt und Geborgenheit geben. 
Reinhard Becker 





Eigentlich hättest Du noch ein paar Tage Zeit gehabt, doch wie es scheint wolltest Du zu Weihnachten mit Mama daheim sein. Nicht Dein erstes Weihnachten in den wenig anheimelnden Räumen einer Klinik verbringen.
Du hast Dich in den letzten Tage geregt und bewegt. Getanzt und geboxt in Mamas Bauch. Wir haben oft unsere Späße gemacht darüber.
Aufgeregt waren wir alle und als Dein Papa dann gar noch einen neuen Arbeitsplatz bekam und ihn von heute auf morgen antreten durfte, war die Aufregung noch größer.
Deine Mama war die Ruhe selber. Schien es nur so? Nein, sie war es wirklich.
Erst als die Wehen einsetzen wurde sie auch ein wenig hibbelig.
Die Geburt Deiner Schwester war ihr noch zu gut in Erinnerung und keineswegs wollte Mami nach Lichtenberg in die Klinik. Dort ballten sich noch immer die Erinnerungen an jenen Tag vor sieben Jahren.
Es wurde langsam dunkel, als Mama mir schrieb, die Wehen gehen los. Wir tauschten uns über Abstände und Stärke aus, schließlich hatte ich einen weiten Weg bis zu Euch an den anderen Rand der Stadt.
Am späten Abend kam die Nachricht, wir holen Dich ab und fahren dann in die Klinik. Schläfst Du eventuell bei uns? Sofort packte ich meine Tasche und Mama und Papa holten mich ab. Dann ging es auf in die Klinik. Noch immer war Mami die Ruhe in Person. Papa dagegen wurde schon nervös.
Einer von uns durfte nur mit, Papa bekam natürlich den Vorrang und ich setzte mich in den Warteraum. Die Zeit tickte plötzlich anders. Krankenhäuser haben eben so ihren eigenen Rhythmus. Im Warteraum der naheliegenden Notaufnahme lief der Fernseher. Ein Mann aus der Putzkolonne polterte durch die Warteräume. Und die Elektronik der Türen zischte immer wieder in die Nacht, wenn jemand rauchen ging oder ein Notfall in die Ambulanz gebracht wurde. Die Sitzplätze in dem kleinen Warteraum der Geburtsklinik sahen einladend aus in ihrem hellen frischen Grün. Doch zum sitzen waren sie nicht geeignet. Schnell schmerzte der Rücken.
Ich wechselte die Warteräume, die Stühle waren weniger hübsch, aber das Sitzen war angenehmer. Als ein Patient in den Flur geschoben wurde und die Sanitäter mich mit einem Guten Morgen grüßten, schaute ich das erste Mal erstaunt auf die Uhr. Ein neuer Tag war schon lange angebrochen.
Es dauerte gefühlte lange Ewigkeiten bis Dein Papa um die Ecke schaute und mich fragte ob ich mit hinaus komme, es gäbe Probleme.


Die Ärzte hatten ein CTG gemacht, und beim folgenden Ultraschall festgestellt das Du zu klein bist und Dein Gewicht unter 2500 Gramm lag. Unverstehbar, denn Mama war ja jede Woche bei der Ärztin. War dies niemanden zuvor aufgefallen, das Du zu klein bist? Eine Versorgung nach der Geburt wäre in der Klinik nicht möglich und Mama müsste ins Krankenhaus nach Lichtenberg. Ausgerechnet dort, wo ihre schlechten Erfahrungen stattgefunden hatten.

Papa war nervös, machte sich Gedanken, war doch am nächsten Tag sein erster Arbeitstag auf den er sich so lange gefreut und daran gearbeitet hatte. Es machte ihm zu schaffen, dass er für Euch nicht so da sein könnte, wenn Mama am nächsten Tag dorthin fahren sollte.

Bis Mama kam, verging noch ein wenig Zeit, es gab noch einige Untersuchungen und die Papiere wurden ihr ausgehändigt.
Die Klinik schickte sie nach Hause mit den üblichen Ratschlägen und eben jenem Rat sich am nächsten Tagen Lichtenberg zu melden.

Die Nacht war kurz, Papa wurde von Mama schlafen geschickt, er sollte wenigstens etwas ausgeruht seinen ersten Arbeitstag antreten. Wir blieben im Wohnzimmer, machten es uns auf der Couch bequem und ließen alles auf uns zukommen. Die Wehen kamen ohne das sich die Zeit dazwischen änderte, ein paar kleine Mützen voll Schlaf konnten wir so ergattern bevor es Zeit wurde sich fertig zu machen. Mami hatte schon vor einiger Zeit einen Freund gefragt, ob er als Notfahrer in Frage käme. Sie informierte ihn und eine halbe Stunde später stand er vor der Tür. Wir waren fertig gemacht für den Tag und waren gespannt was uns in Lichtenberg erwarten würde. Mamas Koffer hatten wir dabei.
Angekommen in der Kreißsaalambulanz wurde Mami mit den Worten empfangen: „sie hätten sich acht Wochen vorher anmelden müssen!“ Ich saß im Wartezimmer und bewunderte Mami für ihre Ruhe, die sie noch immer bewahrte. Mit ruhiger Stimme erklärte sie die Situation, die Informationskette schien eine Lücke gehabt zu haben. So waren die hiesigen Schwestern nicht ausreichend informiert. Nach einer Weile kam dann eine Schwester und meinte Mama dürfe bleiben, die Untersuchungen werden heute vorgenommen und das erste Mal hörte ich zwischen den einzelnen Untersuchungen von Mama, „ich hab ein wenig Angst“.

Mir standen inzwischen die Nackenhaare. Babys bekommen war, als ich das erste Mal Mami wurde, noch so ganz anders. Wehen, Krankenhaus – ohne zuvor wochenlang vorher irgendwo angemeldet sein zu müssen.

Trotz anfänglicher Ruppigkeit beim Empfang, waren die anderen Schwestern und auch die Ärztinnen und Ärzte sehr nett.
Da Mami bei der ersten Geburt einen Kaiserschnitt bekam und Du als zu klein und vielleicht zu schwach eingestuft wurdest, rieten die Ärzte Mama zu einem weiteren Kaiserschnitt.
Wehen waren noch immer da, jetzt jedoch wieder mit größeren Zeitabständen. Inzwischen war es Mittag geworden und unsere fast schlaflose Nacht machte sich bemerkbar. Ein Kaffee und Bananenmilch für Mama halfen uns über den müden Punkt.

Der nächste Termin sollte, konnte jedoch erst in über zwei Stunden stattfinden. Es blieb genügend Zeit für einen kleinen Imbiss und ein wenig Erholung für Mama. Die Zeit schlich dahin, so kam es uns jedenfalls vor.
Dann war es so weit, der Anästhesist empfing Mama freundlich und mit einem aufmunternden Lächeln. Nachdem er ihr alles ausführlich erklärt hatte, durften wir wieder nach Hause fahren. Deiner Mama kamen nun viele Fragen in den Sinn. „Wer bringt mich am Freitag in die Klinik? Wie wird es am Donnerstag zu einem weiteren CTG?“

Doch Du kleine Lady wolltest es anders. Du wolltest das Mami und Papi zusammen in die Klinik fahren und so hatte Mama am Abend, als Papa von der Arbeit kam, alle fünf Minuten Wehen .........
Und nun bist Du da „Eine Hand voll Glück“
Bist klein mit Deinen 48 Zentimetern und nicht gerade schwer. Nur wenig mehr als zwei Tüten Zucker. Aber eben genausooo süß und noch viel mehr. Doch Du darfst bei Mama sein.
Als sie mir schrieb, bist Oma, lagst Du auf ihrer Brust und hast geschlafen. Herzgefühl – Herzinnendrinnen

Herzgefühl
Vertrauen
Liebe

Willkommen Eulchen





Geboren wird nicht nur das Kind durch die Mutter, sondern auch die Mutter durch das Kind.

Montag, 14. Dezember 2015

Verraten

Der Blick
Vorenthalten
Nur schemenhaft
lässt sich der Pfuhl erahnen
Hinterm Nebelgrau Häuser
Lautlos
ducken sich schwarze Vögel
in kahlen Zweigen
Selbst die Kälte entflieht
Die Zahl der Gutshofgänse
nimmt seit Sankt Martin
rasant ab
Bald wird kein Schnattern mehr
einen neuen Tag verkünden
Werdegang des Lebens
Eine Krähe sitzt verwegen
auf dem Rücken eines Schafes
frech pickt sie in der Wolle umher
In den Gärten
zwischen absterbendem Ziergras
blühenletzte zartrosa Rosen
Die Winterverpackung
vom Gärtner verschmäht
Die trägt der Briefkasten
Pudelmütze und Schal
in quitschbunten Farben
Ein Film aus zähen Tropfen
legt sich auf die Umgebung
Kinder malen lachende Gesichter
und Herzen auf Nebelnasse
Bushaltestellenscheiben
Liebkosungen für den Tag,
der heute nur dicke Luft bereit hält
Der Herbst nutzt seine spärlich
verbliebene Zeit
stiehlt dem herannahenden Winter
die Show
Schneeflockenfall
tönt nur aus schrill
wimmernden Boxen
Meisen fliegen als Eskorte vor mir her
„Meise, kleine Meise …..“
sie zwitschern ihr Lied
Dezember
Verraten von den blinkenden
Weihnachtsbeleuchtungen
hält er inne
Und aus schneeweißen Kätzchen
tropft der Dezembernebel

in die verrinnende Zeit  



Sonntag, 13. Dezember 2015

Zeit



Silbrig perlt Zeit in mein Leben.
Tropft aus Wolken in rauschendes Blätterdach.
Eingefangen von wärmenden Strahlen
schwingt sie bunte Lichtbögen ans Himmelszelt.

Fließt leise plätschernd in Bächen,
wird manchmal zum reißenden Strom.
Schlägt Wellen auf kühlen Bergseen
schafft Wogen im salzigen Meer.

Sie klettert hinunter in Täler
und rollt hinauf, auf den Berg.
Sie steigt hinab in die dunkelste Höhle
und greift nach den Sternen am Tag.

Nachtblau fällt sie in den Abend
läuft allem Irrsinn davon.
Sie steht zwischen steinernen Mauern
und wird mit Liebe belohnt.  



Samstag, 12. Dezember 2015

Fest der Liebe

Kaufrausch
Rauschkauf
Lieblosigkeiten
Zum Fest der Liebe
In goldenes Papier gesteckt
Rote Herzen aufgeklebt
Tarnen sie eisige Kälte
Gehetzt windet sich
Eilig ein glitzerndes Band
Um das riesen Paket
Schnürt dem
Letzten Funken
Glaube
Den Atem ab
Vom Tannenduft
Weit entfernt
Fallen die Hüllen
Verknotet das Band
Zeitraffer
Mit dem Erfolg
Das Papier
Seufzend in
Fetzen zerfällt
Ein kurzer Blick
Und schon
Ertönt schrill
Der Schrei von
Silberpapier
Verborgenes entdeckt
Landet das Entblößte
Achtlos auf
Den Nackten Tatsachen
Da
Ein Hoffnungsschimmer
Ein kleines Paket
Findet sich darin

Das Fest der Liebe?  

Donnerstag, 10. Dezember 2015

Wolkenflüstern in den Auen

Windgespräche




Malchower Auen

Der Kopf völlig starr, blicke ich wieder und wieder auf die Arbeitsanleitung, während die Wolle in meinen Händen immer mehr zu verfitzen scheint.
Englische Anleitungen führen hin und wieder zu Missverständnissen. Fingerbrecherisch das Muster.

Ein Blick aus dem Fenster, die Sonne lockt und der „Wollkopf“ weiß sofort wohin es gehen soll.
Immer mal wieder ist mir bei meinen Erkundigungstouren ein Schild „Fußgängerbrücke“ aufgefallen.
Ein weiterer Blick fällt auf die Karte, Orientierungspunkte ansehen, die ich mir in mein kleines, mich immer begleitendes Notizbüchlein schreibe.
Mädchennamen für Straßen. Zufall?
Waren wir doch erst vor ein paar Wochen auf der Suche nach einem Mädchennamen, da Erwin kein Erwin werden will. Lächelnd lege ich den Babyschlafsack und die Wolle entgültig für heute beiseite und entscheide mich für eine Windgesprächstour.

Sonne und ein leichter Wind sind mein Begleiter. Mit einem kleinen Umweg entlang der Rieselfelder, da ich ungern auf der vielbefahrenen Straße mit dem Rad fahre, komme ich schnell an die Margaretenhöhe. Hier war ich im Sommer schon einmal, hatte jedoch damals die rechte Seite entlang der Straße erkundet.
Heute sollte es also nach links gehen, mitten hindurch, durch die Kolonie Margarentenhöhe, vorbei an einer eingezäunten Fläche, die sich die Natur wieder zurückerobert.
In den Gärten ist mein Kopf noch nicht frei von den „Arbeitsgedanken“, so ist auch mein Blick noch sehr eingeschränkt. Erst als ich an der Fussgängerbrücke ankomme, öffnen sich meine Sensoren für die Umgebung. Wunderschön leuchtet die Sonne in letzten Blättern. Gold erstrahlt entlang der Bahntrasse.
Ich entdecke neue Wege, kann jedoch der Versuchung widerstehen und bleibe meinem eigentlichen Plan treu. Langsam schiebe ich Frau Ella über die Brücke. Für ein „was mache ich danach“ hatte ich mir keinen Kopf gemacht. Wollte mich einfach auf das was kommt und wie ich mich fühle einlassen.
Die Abfahrt der Brücke zieht sich bis an den Wartenberger Weg und für eine Umkehr war es mir noch zu früh. Weiter jedoch hatte ich keinen Blick in die Karte riskiert und so fuhr ich geradewegs einfach drauf los. Wege zum abbiegen gibt es genug.
Doch noch geht es ersteinmal entlang des Wartenberger Weges. Ein schmaler Weg und ein Schild wecken meine Neugier. „Malchower Aue“ steht darauf und läd mich ein, meine Neugierde zu stillen.
Entlang kleiner Gartenhäuschen auf der einen Seite, geht es auf einem schmalen Weg hinein ins „Ungewisse“.
Und spätestens als mich das Gelb der Pilze in seinen Bann zieht, sind Wolle und das Fingerbrercherische Muster noch ein Stück mehr verdrängt.

Hier und da und dort, überall gibt es etwas zu erblicken, selbst wenn es nur der Einfall der Sonne in die Baumriesen ist.

Saftig grün präsentierten sich die Mähwiesen vor mir. 8. Dezember. Nur der Kalender verrät, dass wir im Endmonat des Jahres angekommen sind. Und die Temperaturen locken nicht nur die Menschen hinaus. Sonnenstrahlgeweckt fliegen Mücken über die Wiesen.

Der Blick nach vorn, lässt vermuten, das dort mein Weg zu Ende sein könnte, denn er führt genau auf die Bahntrasse zu. Mitten hinein in davor wucherndes Schilf.
Ich zittere mich mit meinem Rad auf dem schmalen durchweichten Weg voran. Brabble vor mich hin, und blicke erst wieder nach oben, als mir ein Jogger lachend „Guten Tag“ wünscht. Nun muss auch ich lachen.
Grenzen verwischen sich hier, die kühlen Begegnungen aus der Stadt, sind hier Begegnungen voller Lächeln und einem freundlichen Hallo oder Nicken. Begegnungen, die zeigen das es kleine zwischenmenschliche Aufmerksamkeiten gibt. Das ist mir bei all meinen Erkundigungsspaziergängen bisher aufgefallen.

Der Weg wird matschig, ich schiebe Frau Ella und die Sonne strahlt auf zwei kleine Gewässer, die nun meine Aufmerksamkeit fordern.

Wolken flüstern. Der Himmel so nah. Die Umgebung verdoppelt sich. Torfstiche, lese ich auf der kleinen Tafel. Mooriger Geruch vermischt sich mit dem Duft von Kalmus.
Die Natur verschluckt die Geräusche der nahen B2. Hier erklingen nur Vogelzwitschern und das leise Säuseln im Schilf.
Die Sonne scheint durch die dunklen, fast kahlen Äste der Erlen. Schwarz heben sie ihre Ärmchen in die Lüfte. Andere liegen umgeknickt und dürfen den Tieren Schutz und Nahrung bieten. Eine kleine Wildnis unweit der Stadt. Klein, aber fein.
Ob die Autofahrer, die hier täglich auf dem Weg zur Arbeit oder Nachhause vorbeibrausen, von diesem Kleinod wissen?
Ein kleines Stück Natur, welches in seiner Unaufdringlichkeit so reich beschenkt.
Ich lasse Frau Ella stehen, kann mich nicht satt sehen an den wundervollen Spiegelungen, die sich bei jeder Bewegung neu präsentieren. Ein Schritt, schon verändert sich das Bild, schafft neue Eindrücke und über allem liegt eine unglaubliche Stille, gefüllt mit Tönen. Tönen aus Vogellauten, dem Wind und den Sonnenstrahlen. Sie scheinen dem Wind wie Harfensaiten zu dienen, auf denen er eine Melodie erklingen lassen kann. Sichtbare Töne. Fühlbare Töne. Sie schieben sich unter die Haut, hinein in den Kopf, ins Herz. Man kann sie einatmen, inhallieren und konservieren.
Ein Geschenk, das nichts kostet, außer sich darauf einlassen.
Eintauchen in den Moment, in die Umgebung, das Leben.
Abschalten.
Die Kopfstarre verliert sich, löst sich unter der Stille vollendes auf und verschwindet. Auf dem Rückweg entdecke ich weitere Kleinode und beschließe mich noch für eine Weile an den Malchower See zu setzen.
Einatmen ….

….. um Daheim mit neuer Energie weiterzuarbeiten.  










Sonntag, 6. Dezember 2015

Sehnsucht verloren

Sehnsucht
zwischen Träumen geschwenkt
nach hier und nach da
Doch immer den Plänen gefolgt
Abgesteckt
hin und wieder mal ausgecheckt
ausgestreckt
nie ganz ausgebrochen
und die Gewohnheiten verlassen
Sehnsucht
zwischen Zeilen gelegt
gestreckt in Worte
und in Schönschrift gemalt
Und hat der Stift
über das rauhe Papier
zu straucheln begonnen
wurden sie schnell
beiseite gelegt
Gelebt?
Vor vielen Jahren
Treue geschworen
Sehnsucht verloren

denn das Papier vergilbt